Vor dem Hotel erwartet mich mit kühler Nieselregen.
Das Navi dirigiert mich durch den Murmansker Morgenverkehr in das Hafenviertel.
Zwischen Werften, Lagerhallen und Kais suche ich nach dem riesigen Lenin-Denkmal.
Erst als ich die AT abstelle und mittels Fußgängerbrücke ein Fabrikgelände passiert habe,
finde ich den Koloss.
Der erste Atomeisbrecher der Welt ist heute Museumsschiff.
An der Gangway hängt ein Schild. „Geschlossen!“
Ein klein wenig kann ich meine Enttäuschung mildern,
indem ich über ein unkrautbewachsenes Brachfeld
die AT in den Fußgängerbereich vor der „Lenin“ bugsiere
und so wenigstens ein Album- Foto knipsen kann.
Murmansk ist berühmt geworden für die Atom-U-Boot-Wracks,
die in den umliegenden Buchten und Fjorden vor sich hin faulen.
Google Earth macht kein Geheimnis aus ihnen
und hat die Positionen auch meinem Navi mitgeteilt.
An mir zerrt die Versuchung, wenigstens von Weitem mal
eines dieser Monster mit eigenen Augen zu sehen.
Aber nein – lieber nicht.
Der russische Knast soll nicht gerade eine Amüsieranstalt sein.
Ein Ziel bleibt noch, bevor ich Russland Richtung Norwegen verlassen will.
In den Einöden der hiesigen Tundra hat sich die russische Ingenieurskunst und Wissenschaft
ein Denkmal gesetzt, dass sich gegenüber dem der Mondlandungen nicht zu verstecken braucht.
Hier findet sich seit fast vierzig Jahren das tiefste Loch der Welt.
Mehr als zwölf Kilometer tief haben sich die Bohrgestänge
in eine der ältesten Gesteinsformationen der Erde geschoben.
Bis heute sind die meisten der geologischen Proben nicht abschließend untersucht.
Die Station selber wird seit einigen Jahren nicht mehr genutzt.
Vielleicht kann ich das Bohrloch besichtigen?
Eingerahmt von Bronzenen Gedenktafeln,
mit Panzerglas gesichert und effektvoll ausgeleuchtet?
Der Weg führt durch endlose Tagebaue.
Ich verfahre mich mehrmals und lande in Gruben, wo es nicht mehr weitergeht.
Bagger- und LKW-Fahrer weisen mir freundlich die Richtung aus dem Labyrinth.
Die letzten Kilometer führen über eine fast nicht mehr sichtbare Fahrspur.
Hinter flachen Hügeln taucht eine Kleinstadt auf.
Ich bin am Ziel.
Der Standort des ehemals zwanzig Stockwerke hohen Bohrturmes ist nicht mal mehr zu erahnen.
::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
Montag, Dienstag, Mittwoch Regen, Nebel, Kälte.
Nachts um zwei am Nordkapp Sichtweite bis zur Stiefelspitze.
Heute, am Donnerstag, checke ich in einem WLAN-Cafe den Wetterbericht.
Wozu sollte ich mich zwischen in Wolken eingeklemmten Berg- Unterteilen und Regengischt
Durch die Lofoten quälen?
Was soll ich hier?
Ich will in den Süden!
Ein alter Norweger will mir erklären, wie solche Berichte zu lesen sind:
„Der gilt für das Festland.
Auf den Inseln scheint oft die Sonne, wenn es in Narvik und Bodo regnet.“
Ich bleibe sehr skeptisch.
Aber meine Neugier siegt.
Ich will wissen, ob der Alte Recht.
Und so fahre ich einem traumhaft schönen Erlebnis entgegen.
Abends auf dem Campingplatz ist der Vorderreifen fällig.
Der Hintere wird es noch ein paar Tausend Kilometer machen.
:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
Fahrerisch und landschaftlich war gestern ohne Zweifel einer der reizvollsten Tage meiner Tour.
Die Fähre hat mich heute Morgen von der Südspitze der Lofoten auf das Festland gebracht.
Nun cruise ich schon einige Stunden die gewundene Küstenstraße entlang.
Vorbei am legendären Malstrom.
Fähren bringen mich über Fjorde.
Gletscherzungen versuchen, im Meer zu lecken.
Die Straße ist für Touristen gebaut.
Wer es eilig hat, nutzt die Fernstraße weiter im Landesinneren.
In einer Stunde werde ich in Mo i Rana sein.
Ich bin mir immer noch nicht schlüssig, ob ich von dort aus Richtung Schweden oder weiter nach West-Norwegen fahren sollte.
Da erscheint Seine Majestät.
Er schiebt seinen Schädel mit den mächtigen Schaufeln
aus dem Gebüsch und verharrt.
Dann trabt er los.
Richtung Straße.
Meine Hände haben schon Kupplungs- und Bremsgriff fest umschossen.
Der neue Vorderreifen wimmert.
Der Elch blickt königlich-stolz geradeaus.
Ich ziehe bremsend nach links.
Wenn seine Hoheit geruhen, stehen zu bleiben, kommen wir beide ungeschoren davon...
Er bleibt nicht stehen.
Die AT knallt ihm mit dem Scheinwerfer gegen das Schulterblatt.
Das Geweih ist oberhalb meines Helmes.
Das registriere ich noch, bevor ich den Abflug mache.